Besuch für Herrn Prokhorow – oder die Tragödie von Großenhain

Besuch für Herrn Prokhorow – oder die Tragödie von Großenhain

Das Grab von Garde-Oberleutnant Nikolai Prokhorow (5. Dezember 1914 – 9. Oktober 1948) in meinem Ostflügel gehört zu jenen, die regelmäßig besucht werden – wobei regelmäßig in diesem Zusammenhang bedeutet, dass alle ein bis zwei Jahre Angehörige kommen und meist auch Schmuck dalassen. Vor einigen Jahren war bereits einmal eine Fotografie auf Papier auf dem Grabstein aufgebracht worden, ohne jeden Wetterschutz jedoch alsbald verblasst. Wie froh war die Friedhofsfreundin damals, konnte sie den Verstorbenen doch so zu Dokumentationszwecken digital im Bild festhalten.

Nun waren vor einigen Tagen wieder Verwandte von Nikolai da – und wieder wurde ein Foto aufgestellt, diesmal mit Rahmen und hinter Glas. Vielleicht wird es diesmal etwas länger halten. Wie sich auch das Totengedenken verändert, sieht man daran, dass neben dem Bild des Toten diesmal keine Grabkerze flackerte, sondern ein „ewiges Licht“ mit LED blinkte.

Das Foto zeigt einen älteren Mann mit faltenzerfurchtem Gesicht – dabei war er zum Zeitpunkt der Aufnahme gerade mal Anfang 30. Garde-Oberleutnant Nikolai Andrejewitsch Prokhorow aus dem russischen Naro-Fominsk diente als Steuerungsoffizier im 684. Jagdfliegerregiment der 16. Luftarmee, das nach Ende des Zweiten Weltkrieges nahe Großenhain stationiert war. Wie bei vielen, die überlebt hatten, hatten der Krieg und die kaum weniger leichten Nachkriegsjahre ihre Spuren offensichtlich auch bei Prokhorow hinterlassen. Den Krieg hat Prokhorow überlebt, die Besatzungsjahre nicht:

Der Tod kam mit 33 auf dem Großenhainer Flugplatz. Beim Start kracht sein Lawotschkin-7 Jagdbomber am 9. Oktober 1948 noch am Boden in ein anderes Flugzeug. Warum, ist unbekannt. Prokhorow war ein erfahrener Pilot. Er ist sofort tot. Seine Frau Alexandra Michailowna, die mit den Kindern zum Zeitpunkt des Unglücks bei ihrem Mann in Deutschland lebte, kehrte nach der Beerdigung zurück in die russische Heimat, nach Taganrog nahe Rostow am Don. Das war damals üblich so: Mit dem Tod des Mannes verloren Frau und Kinder in aller Regel die Berechtigung zum Aufenthalt in den Militärgarnisonen in den besetzten Gebieten. Den geliebten Mann und Vater mussten sie in fremder Erde zurücklassen. Sehr wahrscheinlich sind es Prokhorows Kinder und Enkelkinder, die sein Andenken bis heute auf dem Sowjetischen Garnisonfriedhof Dresden lebendig halten. In einem Monat jährt sich die Tragödie von Großenhain zum 70. Mal.

Es sollte nicht die einzige bleiben. Allein aus Prokhorows Geschwader sind nach Kriegsende mindestens fünf bis sechs schwere Flugzeug-Unglücke vom Großenhainer Flugplatz bekannt, bei denen bis in die 50er-Jahre hinein mindestens acht Soldaten ihr Leben verloren. So waren nur wenige Monate zuvor, im Februar 1948, mit Leutnant Pawel Grizenko und Leutnant Sergej Rußak zwei ehemalige Kameraden Prokhorows in Großenhain bei einer ähnlichen Katastrophe ums Leben gekommen. Sie ruhen bis heute unweit von Prokhorow in meiner Erde. Auf ihren Grabsteinen ist mit 1947 vermutlich ein falsches Sterbejahr angegeben, denn in den Verlustlisten werden sie nach einem weiteren Unglücksfall innerhalb der Einheit aufgeführt, der sich im April 1947 ereignet hatte. Damals hatte Garde-Ingenieur-Hauptmann Safronow Selbstmord begangen. Auch er ruht in meinem Ostflügel.

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