Forschung

Forschung

Über acht Jahre hinweg hat die Betreiberin dieser Seite Archivmaterial gesichtet, um die tatsächlichen Identitäten der mehr als 2300 auf dem Sowjetischen Garnisonfriedhof Dresden beerdigten Toten zu ermitteln. In zahlreichen Fällen, insbesondere aus den Jahren 1945 bis 1948, ist dies bereits gelungen. Erst die gezielten Nachforschungen brachten die oft haarsträubenden Mängel in der Dokumentation der Todesfälle innerhalb der sowjetischen Streitkräfte auf deutschem Boden zutage, die in sowjetische Hoheit fiel. Sie ergaben zudem, dass einige der auf dem Sowjetischen Garnisonfriedhof Dresden Begrabenen auf keinem Grabstein Erwähnung finden (auch nicht als „unbekannt“) – und somit anonym beigesetzt wurden. Vermerke über diese Bestattungen finden sich einzig in einer speziellen Bestattungsliste für den Friedhof aus den 50er-Jahren. Für die Jahrzehnte danach fehlen solche Quellen bislang.

Recherche

Als Recherchemittel dienen unter anderem die Personaldokumente der Roten bzw. der Sowjetischen Armee soweit diese vom russischen Verteidigungsministerium bereits freigegeben wurden – was aktuell maximal bis ins Jahr 1951 hinein der Fall ist, wobei es sich bei Akten jenseits des Jahres 1947 um wenige Einzelfälle handelt. Alle Dokumente jenseits dieser Grenze hält die russische Regierung nach wie vor im staatlichen Militärarchiv in Podolsk unter Verschluss, sodass auch die Regierungen anderer postsowjetischer Staaten ihre Bürger bei der Suche nach Informationen zum Tod ihrer Angehörigen während der Epoche des Kalten Krieges nicht oder nur sehr begrenzt unterstützen können.

Weiterhin zur Klärung von Identitäten eingesetzt werden Urkunden für Verdienste im Großen Vaterländischen Krieg, in denen sich häufig eine Vielzahl an Hinweisen zu Herkunft, Truppenteilen und Einsatzorten finden. Mithilfe der Truppenteile, in denen die Betroffenen zuletzt dienten, und ihrer Dienstgrade lassen sich häufig realistische Zuordnungen zu einer späteren Bestattung auf dem Sowjetischen Garnisonfriedhof Dresden vornehmen. Nicht selten kann auf diese Weise auch der korrekte Name ermittelt und einwandfrei ein Grab zugeordnet werden.

Datenbank mit über 2300 Namen


Auf diese Weise ist inzwischen eine Datenbank mit aktuell rund 2100 Namen von Personen entstanden, die auf dem Sowjetischen Garnisonfriedhof Dresden bestattet wurden – unbeachtet eines großen Teils des Nord- und Westflügels, die noch erfasst werden müssen. Die Arbeit ist also noch längst nicht abgeschlossen. Momentan kann von einer Gesamtzahl von deutlich über 2300 Toten auf dem Sowjetischen Garnisonfriedhof Dresden ausgegangen werden. Bisherige Zahlen gingen lediglich von 2260 aus.

Mammut-Aufgabe

Grundlage der Datenbank bildeten zunächst die in einer Vorort-Bestandsaufnahme erfassten Namen und Lebensdaten der Verstorbenen auf den Grabsteinen. Die Herausforderung bestand jedoch darin, die so gewonnenen Daten anhand von Archivdokumenten zu überprüfen, zu berichtigen bzw. um weitere gewonnene Informationen und bislang unbekannte Todesopfer zu ergänzen – eine Mammutaufgabe!

Die sowjetische Standortverwaltung in Dresden führte mehrere Listen zu den auf dem Garnisonfriedhof bestatteten Toten, dazu kommen die Verlustlisten der einzelnen Einheiten und die der Lazarette – nicht selten weisen diese widersprüchliche und fehlerhafte Aussagen zu Namen und Lebensdaten auf. Die Gründe für diese scheinbar chaotische Dokumentation liegen im Dunkeln. Festzustellen ist jedoch, dass sie heutige Nachforschungen zum einzelnen Verstorbenen massiv erschwert – sowohl für Forscher als auch für Angehörige.

Die Datenbank enthält heute nicht nur Angaben zu Namen und Lebensdaten, sondern auch Informationen zur Herkunft, zu den Todesumständen sowie zu Einsatzorten und zu Auszeichnungen der Toten im Großen Vaterländischen Krieg, die fortlaufend ergänzt werden.

Suche nach Angehörigen

Eine der wesentlichen Säulen der Forschungsarbeit zu den Hintergründen und Identitäten der Toten auf dem Sowjetischen Garnisonfriedhof Dresden sind die heute noch lebenden Angehörigen der Verstorbenen. Diese leben heute in ganz Russland und auf dem Gebiet der postsowjetischen Staaten verstreut, aber teilweise auch in Deutschland bzw. Tschechien. Sie sind ein entscheidender Schlüssel insbesondere zur Erforschung der Biografien und Schicksale jener Toten aus den 50er- bis 80er-Jahren, zu denen Quellen nach wie vor nicht zugänglich sind. Insbesondere hier war es in den vergangenen Jahren aufgrund der Kontakte zu Angehörigen möglich, Einblicke in den Umgang der sowjetischen Militärbehörden mit den Angehörigen im Dienst umgekommener Soldaten, Offiziere und Zivilarbeiter zu erlangen, aber auch dahingehend, auf welche Weise viele dieser Armeeangehörigen ums Leben kamen. So konnte inzwischen der Verdacht erhärtet werden, dass Selbstmord in diesen Jahrzehnten in den Truppen entweder eine große Rolle spielte oder aber bevorzugt zur Verschleierung anderer nichtnatürlicher Todesursachen in den Totenscheinen angegeben wurde. Dass die Vertuschung von Todesursachen in den sowjetischen Streitkräften an der Tagesordnung war, ergab in den 90er-Jahren eine russische Studie, die so heute vermutlich nicht mehr möglich wäre.

Der Kontakt zu Angehörigen hilft nicht nur, Schicksale zu klären, er gibt den Toten häufig auch ein Gesicht und damit ein Stück Identität und Individualität zurück. Das Gesicht hinter einem Namen zu sehen, die Geschichte hinter dem Grab zu hören gehört zu den schönsten und befriedigendsten Momenten der Forschungsarbeit – und es verleiht dem Sowjetischen Garnisonfriedhof Dresden zugleich ein menschlicheres Antlitz.

Angehörige bieten nicht nur Zugang zu persönlichen Informationen über die Toten – sie sind häufig auch im Besitz offizieller Dokumente wie Sterbeurkunden – also jener so wertvollen Informationen, die die russische Regierung bis heute unter Verschluss hält und die Zeugnis ablegen über den Alltag in der Armee.
Angehörige können erzählen. So haben erst sie zu der Erkenntnis beigetragen, dass manchmal selbst die nächsten Angehörigen nicht vom Tod ihres Sohnes oder Bruders in Kenntnis gesetzt wurden – sondern teils erst Jahre später von heimkehrenden Kameraden des Toten von dessen Schicksal erfuhren. Auch an der Beisetzung teilnehmen durfen Angehörige selten – es sei denn, sie hielten sich als Ehefrauen oder Kinder des Toten ohnehin mit in Deutschland auf, was ausschließlich auf Offiziere und Zivilarbeiter zutraf.

Forschung sichert den Erhalt

Die Erforschung des Sowjetischen Garnisonfriedhofes Dresden hat aber nicht nur einen Nutzen für die Angehörigen, sie trägt auch langfristig zum Erhalt der Anlage als Kulturdenkmal und Lernort bei. Ein Friedhof, den Angehörige aufsuchen, ist ein lebendiger Ort. Er ist ein Ort der Begegnung und des Gedenkens. Ein Friedhof, der nicht nur Namen, Daten und monumentale Gräber kennt, sondern auch Geschichten, Schicksale und Gesichter, ist nicht nur ein Denkmal, sondern auch ein Ort der Menschlichkeit und der Würde. Ein Ort, mit dem sich jeder Dresdner identifizieren kann, der „auch mal jung war“, „auch mal in der Armee diente“, „auch Kinder hat“, „auch Opfer eines totalitären Regimes wurde“ usw.
Und was besonders wichtig ist: Einen solchen lebendigen, menschlichen Ort zu zerstören sollte ungleich schwerer fallen als es das bei einem bloßen Relikt wäre, zu dem es keinerlei menschlichen Zugang gibt.

 

 

 

 

 

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